Zeit ist ein Riese

Du stehst morgens auf, putzt Dir die Zähne, schlürfst Deinen Becher Kaffee, drehst Dich einmal um Deine eigene Achse und ‘Schwupps‘ ist schon wieder ein Tag vorbei. Du hast heute einen guten Job gemacht, wie man neudeutsch so schön sagt, und Du bist hoffentlich zufrieden mit dem, was alles so war. Du sitzt abends mit der Zahnbürste im Mund auf der Bettkante und überlegst schon, wie es morgen wohl sein wird. Morgen ist auch noch ein Tag, denkst Du vieleicht so, und Du nimmst Dir mal wieder vor, am nächsten Tag etwas wirklich Wichtiges oder Bewegendes zu unternehmen. In sechst Tagen ist eine ganze Woche vergangen und bald wieder ein ganzes Jahr. Das Leben ist ständig und unaufhaltsam im Fluß und die Zeit ist ein Riese.

Heute war wieder so ein elendiger heißer Tag. Den ganzen langen Winter freut man sich auf den Frühling und den Sommer und heute sitze ich hier, mit den Füßen in Lunas Bademuschel. Bei dieser Hitze habe ich keinen Bock auf gar nichts und vor allem dem Milow geht es nicht viel anders. Südeuropäische Hunde sollten sollten die Hitze ja eigentlich besser abkönnen, aber denkste Puppe. Luna ist da schon härter im nehmen, die muß ich regelrecht immer aus der Sonne in den Schatten scheuchen. Wir freuen uns mitlerweile auf den Herbst und ich hoffe, dass er in diesem Jahr auch stattfindet. Morgen ist auch noch ein Tag, denke ich, und dann soll es ja bald endlich mal wieder etwas kühler werden. Ich nehme mir für morgen viel vor und schreibe lauter kleine Zettel, die ich an den Computer oder sonstwo hin hefte. Bloß nichts vergessen und mal sehen, wie ich das morgen abend auf der Bettkante so sehe – mit meiner Zahnbürste im Mund.

Klein Luna ist grau geworden in den letzten zwei Jahren. Das macht mir Angst! Vor zwei Jahren, das war so ungefähr vor ein paar Tagen. Mir fiel es völlig unvermittelt auf, als wenn die grauen Haare genau in diesem Moment gewachsen wären. Schlagartig ging das und völlig unverständlich für mich! Wieso hatte meine kleine Prinzessin auf einmal graue Augenbrauen und diesen kleinen hellen Schatten um die Schnauze herum. OhNein, das konnte nicht Grau sein – bestimmt setzte sich einfach nur das Weiß in ihrer Färbung mehr durch, ganz bestimmt war das so!

Auf einmal sind so viele Fragen da: Hat sie ein schönes Leben an meiner Seite? Bin ich immer für sie da und bekomme ich auch wirklich alles mit? Werde ich irgendwann bereuen, nicht genug für sie da gewesen zu sein oder nicht genug mir ihr unternommen zu haben? Habe ich manchmal zu viele andere Dinge im Kopf? Die Kleine wird einfach älter, jeden Tag ein Stückchen mehr und ich kann es nicht ändern. Die Zeit ist eine Einbahnstraße und jeder Moment ist einmalig – Zeit ist unwiederbringlich. Luna wird bald sieben Jahre alt. Das ist kein Alter für einen Hund, aber alleine die Vorstellung, dass sie irgendwann nicht mehr an meiner Seite sein wird, bringt mich fast um! Luna wird bestimmt 20 Jahre alt und wenn das soweit ist, dann bin ich 66 und hoffe, dann immer noch mit meinem Löffel durch die Gegend zu laufen. Luna ist ein Teil von mir, in meiner Seele festgewachsen. Aber die Zeit ist ein Riese und der hat seine eigenen Pläne!

Ich möchte jeden Moment mit ihr geniessen und eigentlich möchte ich gar nichts anderes tun, als mit ihr gemeinsam zu sein. Aber in Wirklichkeit habe ich immer viel zu viele andere Dinge im Kopf und wenn ich dann mal wieder hinschaue, ist schon wieder ein ganzer Schwung Zeit vergangen – einfach so, vollautomatisch. Für heute habe ich wieder beste Vorsätze – mal sehen, wie sich das morgen auf der Bettkante anfühlt!

Der Milow ist jetzt schon über ein Jahr bei uns und ich erinnere mich an unsere erste Begegnung, als wäre es gestern gewesen. Der Halunke ist eigentlich gar kein Halunke mehr, sondern ein wunderbar feiner Kerl und Kumpel geworden. Er hat viel in unserem Leben verändert, aber das ist gar nichts im Vergleich zu dem, was sich in seinem Leben verändert hat. Seit einigen Tagen können wir sogar zu dritt Fahrrad fahren und wir legen dabei schon richtig lange Strecken zurück. Das ist toll und davon habe ich fast ein Jahr lang nur träumen können. Es tut immer wieder gut, in der Zeit zurückzuschauen und alle seine Fortschritte in dieser menschengemachten Welt nicht allzu selbstverständlich zu nehmen. Unvergessen sind meine Sturzflüge von Fahrrad, weil der Milow aus dem vollen Lauf plötzlich stehen blieb, weil der Laternenpfahl so verführereisch roch oder auf der Straße anscheinend etwas Fressbares lag.

Luna und Milow sind ein richtig tolles Team geworden und wir alle drei eine richtig tolle kleine Familie. Milow ist jetzt unser Großer und er ist unser Beschützer und großer Bruder, besonders wenn Klein Luna sich mal wieder in heikle Situationen gekläfft hat. Das macht sie seit eh und je gerne, denn sie ist etwas größenwahnsinnig – eigentlich ist sie ein großer Rottweiler, der sich nur als kleiner Terrier-Mix getarnt hat. Der Milow ist immer sofort zur Stelle und klärt souverän, indem er sich oft einfach nur quer dazwischenstellt – einfach toll! Der Milow lässt sich nicht die Butter von der Stulle nehmen.

Die Fabelschmiede wird in einigen Wochen ein Jahr alt! Ungefähr 20.000 Besucher haben dann über 30.000 Geschichten gelesen. Das macht pro Tag fast 100 Aufrufe und das ist Spitze. Niemals habe ich mir das vorstellen können, als ich im September anfing, unsere kleinen Geschichten in Internet zu veröffentlichen. Eigentlich wollte ich ja nur mein Leben und das meines verstorbenen Mannes aufschreiben und verarbeiten. Aber da sich bei mir anscheinend alles um den Hund dreht oder zumindestens immer wieder darauf zurückkommt, ist die Fabelschmiede zu einem Hunde-Blog geworden – und das ist auch gut so, finden wir! Mal sehen, wohin uns unser Weg noch führt, und welche neuen Erfahrungen und Erlebnisse das Schreiben für uns noch mit sich bringen.

Altwerden ist nichts für Feiglinge und die Zeit ist ein Riese! Ich muß zum Ende kommen und mein Zähne putzen. Danke Euch allen für Eure Treue und Euer Interesse an unseren Geschichten aus unserer kleinen zehnbeinigen Welt. Gute Nacht, schlaft gut und träut was schönes!

Luna Hundewiese - Pizza

aus „Mistköter und Seelenhunde“ von Severine Martens,
Manuela Kinzel Verlag, Dessau/Göppingen,
ISBN 978-3-95544-005-3,
9,90 Euro.
Ab Dezember 2013 im Buchhandel, Vorbestellungen über den Verlag möglich!
© Severine Martens und Manuela Kinzel Verlag