Paul nervt!

Die Wahrscheinlichkeit, dass der Hund Paul heisst, ist sehr groß. Er lebt bei einer jungen Familie mit drei Kindern im Reihenendhaus, er ist ein Labrador und er ist braun. Dieser Hund kann nur Paul heissen und wie das Leben so spielt, heisst er wirklich so!

Der Milow hat vor einer Weile beschlossen, ihn nicht mehr auf den Hundeplatz zu lassen. Er hat beschlossen, das Paul da nicht hingehört und versperrt ihm schon am Tor den Weg – so eindeutig, dass sogar ein brauner Labrador das versteht. Milow steht einfach nur quer im Tor, schaut in eine andere Richtung und Paul möchte lieber woanders spielen gehen. Wehret den Anfängen, könnte man dieses Verhalten titulieren und es hat seine Geschichte.

Natürlich ist auch hier wieder der Halunke der böse, denn jeder Labbi und insbesondere Paul hat doch einen eingebauten Tutnix und will nur spielen. An Paul kann es ja nicht liegen und genau das ist Milows Problem. Seine erste Begegnung mit ihm vor so ungefähr einem Jahr muss für ihn so gewesen sein, wie für mich eine himmliche Erscheinung oder außerirdische Raumschiffe im Landeanflug. Paul prescht jedes mal wie ein Junkie auf der Suche nach Stoff mit Vollgas voran, auf alle anderen Hunde zu, rempelt alle über den Haufen und, wenn er damit fertig ist, fängt er von wieder vorne an. Das Leben scheint für ihn ein Spiel zu sein und nicht spielen zu wollen, kommt in seinem kleingezüchteten Hirn nicht vor. Signale anderer Hunde, die ihn lieber von Pelz haben wollen, nimmt er nicht wahr, und sogar derren Knurren oder Schnappen motivieren ihn ausschließlich zu noch mehr Spiel. Viele Menschen halten ihn deshalb für einen tollen Hund, der Milow hält ihn für einen unhöflichen Rüpel und ich halte ihn für einen Vollidioten.

Dabei kann Paul ja nichts dafür, dass er einfach nur ein Sparmodel hundlicher Kommnikation mit eingebauter Merkbefreiung ist. Menschen mögen Hunde, mit denen man alles machen kann, und die sich nahezu alles gefallen lassen. Ein Familienhund muss so sein, heisst es dann, und Retriever-Züchter auf der ganzen Welt haben sich diesbezüglich fast selber überholt. Hunde, die keinen Wert mehr auf persönliche Räume und Distanzen legen, verstehen auch nicht, dass nicht alle Hunde so sind. Der Milow ist da anders und einer, der sich jahrelang alleine durchschlagen musste, muss da auch anders sein. Zudem sind Podengos höchst selbständige Hunde, die ihre jagdliche Arbeit im Team mit Rasse-Genossen völlig eigenständig und ohne menschlichen Einfluss erledigen. Teamplayer wie der Milow besitzen ein faszinierendes Repertoire an Signalen und körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Sie sind wahre Kommunikationswunder und legen im Umgang mit anderen Hunden (und Menschen) großen Wert darauf, auch verstanden zu werden.

Paul hat den Milow vom ersten Tag an nicht verstanden. Anfangs haben sie miteinander gespielt und gerauft, sind gemeinsam über die Wiese geflitzt und haben nebeneinander Pausen eingelegt und die Mäuselöcher beschnüffelt. Irgendwann hatte der Halunke aber keine Lust mehr und wollte sich lieber um was anderes kümmern, als um Paul. Vieleicht wollte er sich auch nur etwas ausruhen! In solchen Momenten fährt Paul zu Höchleitungen der Spielaufforderung auf, rempelt den Milow andauernd an und bekommt Milows kleine Warnungen nicht im geringsten mit. Fluchtversuche des mitlerweile genervten Milow werden mit begeisterten Verfolgungsjagden des Tölpels gekontert. Der schützende Zaun der Wiese wird schlagartig zum Hinderniss und in die Enge getrieben, scheucht auf einmal der Milow den Paul über die Wiese – aber nicht mehr in netter Absicht. Er will doch einfach nur seine Ruhe haben! Erst kurz bevor der Halunke wirklich zuschnappt, scheint sich beim Paul eine Reserve-Gehirnzelle einzuschalten – er storniert überraschend alle seine Spiel-Absichten und zieht sich wie eine beleidigte Leberwurst zurück.

Was denn auf einmal in den Milow gefahren sei, sind die ersten Fragen einiger der anwesenden Hundefreunde. Keiner fragt, was denn in den Paul gefahren war, denn der wollte doch nur spielen. Keiner hat Milows kleine Signale gesehen und, dass er sich sogar völlig in die Ecke gedrängt noch souverän verhalten hat. Ich bin in diesem Moment wohl die einzige, die stolz auf ihren kleinen Mann ist.

Bei späteren Begegnungen reagiere ich schneller und versuche den Paul meinerseits zu körperlich blocken und von dem Milow fernzuhalten. Seinen Menschen scheint dieses angenehmer zu sein, als wenn Milow es selber macht. Verstehen tut es das Sprachwunder Labrador leider genau so wenig und der Milow beschließt, den Paul zukünftig für blöd zu halten. Sein erklärtes Ziel wird es, ihm irgendwie aus dem Weg zu gehen und, wenn es gar nicht anders geht, außerhalb seines Blickfeldes zu bleiben. Auf gemeinsamen Spaziergängen scannt er seinen Kumpel durchgehend hinsichtlich eventuell aufkeimender Spielambitionen. Aber solange der sich seinem zweiten Hobby, Rehköddel aufzuspüren und zu verspeisen, widmet bleibt auch der Milow ruhig und gelassen.

Seine neueste Idee, den Paul erst gar nicht mehr auf den Hundeplatz zu lassen, finde ich außerordentlich faszinierend und zeugt für mich von der hohen Intelligenz meines Hundes. Wie sollte er besser Probleme vermeiden, als sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Auf dem Hundeplatz kann er dem Tölpel wegen dem Zaun nicht ausweichen. Im freien Gelände kann er jederzeit nach vorne flüchten, denn schneller als Paul ist er allemale. Pauls Leute finden Milows Verhalten fürchterlich und können überhaupt nicht verstehen, dass es Hunde gibt, die auch mal ihre Ruhe haben wollen und ihr eigenes Ding im Kopf haben. Ich würde in der Gesellschaft eines Labradors wahrscheinlich verrückt werden und irgendwann selber nur noch mit einem Ball zwischen den Zähnen durch die Gegend laufen. Pauls letzte triebhafte Leidenschaft übrigens, mit einem Gummiball bedient, wenn seinen Leuten nicht nach Spielen oder Schmusen ist.

Milow

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