Amigo … von Alexander Glas

Alexander Glas vom Hunde- und Querdenkerblog Adelhaid öffnet für uns heute das siebente Türchen unseres Adventskalenders Wauzige Wuffnacht 2015. Wir wünschen Euch eine gute Unterhaltung mit einer langen, aber sehr unterhaltsamen Geschichte.

Eine beispiellose Szene aus der ersten Adventswoche 2007 – Selmas 1. Tag:

„Was soll das werden? Ein Rottweiler?“
„Sie heißt Emma.“

klein-selma4Ich stand im ersten Stockwerk eines Mehrfamilienhauses. Ich kam gerade von der Arbeit, ein Bürojob. Ich bin Buchhalter. Ich war es damals schon seit 7 Jahren und bin es heute noch. Beruflich hat sich nichts geändert, privat ein wenig, aber persönlich viel … in Bezug auf einen Hund. Nicht im ersten Moment, als ich dieses Etwas sah, aber im Nachgang.

„Was riecht da so?“
„Das ist der Hund.“
„Der stinkt wie ein Arzneikasten.“
„Es ist ein Mädchen.“
„Und du bist Emmas ‚ammE‘, oder was?“

Meine Gesprächspartnerin war meine damalige LAG. Sie erklärte mir, dass die Hündin von einem Freund käme. Er befreite sie mit einer Tierschutz-Orga aus einem Versuchslabor. Jetzt habe er aber beruflich keine Zeit mehr für den Hund.

 „Und wir sind seine erste Wahl?“
„Warum nicht?“
„Eben. Hereinspaziert ins Tierasyl am Fuße der Altenburg.“
„Du bist herzlos.“
„Nummer 5 lebt, Frau Gutmütig. Ich bau schon mal eine Hundeklappe.“
„Arschloch.“
Sie hatte Recht, ich war ein Arschloch. Vielleicht bin ich es heute noch, aber meine Worte und Taten, vor allem aber die Bilder aus der Zeit vor 7 Jahren werde ich nie vergessen. Sie sind noch so lebendig, als wäre es eben erst geschehen.
„Waren die Hunde schon draußen?“
„Nein.“

klein-selma3Noch immer im Hausflur ging ich an ‚Emma‘ und meiner LAG vorbei in die Wohnung, legte Shila und Adelhaid die Halsbänder an, nahm die Leinen vom Haken und ging. Es wurde ein langer Spaziergang.

Beispiellose Szene aus der zweiten Adventswoche 2007 – Selmas 1. Woche:

„Emma heißt jetzt Selma.“
„Ist mir gleich. Er stink nach wie vor.“
„Sie!“
„… ist ein Pflegehund, nicht mehr, nicht weniger.“
„Aber sie ist so lieb.“
„So sind ’sie‘ alle.“
„Schau mal, ihr neues Halstuch.“
„Es ist grün, nett.“
„Da steht ‚Polizeihund‘ drauf.“
„Ich geh mit den Hunden raus?“
„Nimmst du sie mit?“
„Nein.“
„Arschloch.“

Beispiellose Szene aus der dritten Adventswoche 2007 – Selmas 2. Woche:

klein-selma2Wenn am Jahresende die Abschlüsse warten, haben Buchhalter viel zu tun. Ich nahm diese Aufgaben tugendhaft war und arbeitete von früh bis spät in den Abend. Wenn ich heim kam, ging ich sofort mit Shila und Adelhaid raus, blieb lange und legte mich danach sofort ins Bett. Ich wollte dieser Emma, pardon, Selma einfach aus dem Weg gehen. Meine Arroganz stank mehr als jene Hündin aus dem Versuchslabor. Daraus folgten Dialoge wie diese:

 „Ist die immer noch da?“
„Nehm sie doch einmal mit.“
„Such ein schönes Plätzchen für sie.“
„Arschloch!“
„Das hat jedes Säugetier. Ich geh mal eine Runde, mit denen da.“
„Bist du jetzt auch schon abwertend gegen Shila und Adelhaid?“
„Ich bin sprachlos.“
„Was soll das heißen?“
„Ich finde keine positive Antwort auf deinen Einwurf.“
„Arschloch.“

Beispiellose Szene aus der vierten Adventswoche 2007 – Selmas 3. Woche:

klein-selma1Weihnachten war und ist für mich nicht nur beruflich eine hetzhafte Zeit, sie kann es zumindest – so man will – auch privat sein. Ich nahm diese Hektik seinerzeit in mich auf, tauchte in sie ein. Meinen Feierabend verlängerte ich durch Einkäufe, mitunter von Geschenken. Wenn ich nach der Gassi-Runde mit den Hunden nicht schlafen konnte, ging ich eigene Wege. Hauptsache raus aus der Wohnung. Meine Bemühungen einem Problem, dass ich mir selbst aufbürdete, aus dem Weg zu gehen waren beharrlich und bis dahin erfolgreich. Doch nach einem Monat kamen bei mir überwiegend Momente des Zweifels auf, jene, ob dieser Weg ein vernünftiger sei. Der Hund, pardon, die Hündin würde nicht so schnell aus meinem Leben treten. Rückwirkend kann man(n) alles in ein wunderschönes Licht stellen und Randerscheinungen ins Rampenlicht bringen. Würde ich nach der schonungslosen Wahrheit dieses anwenden, so könnte ich folgendes behaupten: Vielleicht war meine Herangehensweise in der Negierung des Umstandes eines weiteren Junghundes im Haus genau das richtige Maß, dass diese Hündin später zu schätzen lernte, hatte sie doch immense Probleme mit Männern an sich. Physiologisch musste ich mir dieses Geschlecht eingestehen, und doch war ich kein Albtraum für sie. Jahre später konnte ich feststellen, dass es sich bei allen anderen Hunden mit ähnlichen Problemen genauso verhielt. Irgendwie hatten Hunde keinen Bock mich anzubellen, so schlecht ich mich als Mensch gegenüber meiner Spezies auch darstellte.

„Bald ist Weihnachten.“
„Ich freue mich auch auf die Rauhnächte.“
„Was?“
„Heute ist Thomastag, die längste Nacht.“
„Fasel nicht, das hat nichts mit Weihnachten zu tun.“
„Genau. Diese Unlogik des Herausstechens des 24. Dezembers ist ein Sakrileg an alle, die nach dem Mondkalender leben.“
„Aber du bist doch Christ, kein Moslem.“
„Auf dem Papier.“
„Du bist der bibelfesteste Mensch den ich kenne. Was sagst du da?“
„Ich spreche mit meinem Herzen, wenn du da Wärme vermutest.“
„Dann gebe dir einen Ruck, und nehm Selma endlich mal mit.“
„Sie ist noch zu jung.“
„Dann geh mit ihr alleine – danach.“
„Es wird spät. Ich genieße die längste Nacht, wie jedes Jahr.“
„Mit einem Rucksack voller Bockbiere, oder was?“
„Und ner Schachtel Kippen, sehr wohl die Dame.“
„Arschloch!“

Der 24. Dezember 2007 – Selmas 1. Heilige Nacht:

Adelhaid kotzte ihren Gänsebraten für Hunde aus. Shila vertrug ihn gut. Mein Kartoffelsalat war essbar. Mehr fiel für den Vegetarier beim Besuch der Großmutter meiner LAG nicht ab. Na ja, ein paar Vanillekipferl noch, die wohl besten auf der ganze Welt. Das war’s dann aber schon. Die Hunde bekamen besseres Futter aufgetischt als ich, wie jedes Weihnachten eben.

„Ich denke Adelhaid braucht heute nicht mehr raus.“
„Und mit Shila warst du schon, warum auch immer mal ohne deine Adelhaid.“
„Ich ging länger.“
„Du gingst immer lang in den letzten Wochen.“
„Ich war lange weg, ja. Weit ging ich nie. Adelhaid ist auch noch jung.“
„10 Monate.“
„11.“
„Und was machst du dann die viele Stunden?“
„Ich mache das, was ich seit Jahren mache.“
„Und das wäre?“
„Gen Osten schauen, Buch lesen.“
„Ich dachte, das wäre zu anstrengend mit Adelhaid.“
„Wenn ich Shila nicht hätte, ja.“
„Was soll das heißen?“
„Sie kontrolliert und korrigiert Adelhaid.“
„Ich verstehe nur Bahnhof.“
„Ich kann das selbst schlecht erklären.“
„Versuche es.“
„Shila sitzt immer neben mir, egal wie lange. Adelhaid nicht.“
„Soweit verstanden.“
„Nun ja, wenn Adelhaid sich zu weit entfernt, ändert Shila ihr Verhalten; sie steht dann auf, geht ein paar Meter vor und schaut in die Dunkelheit.“
„Dort wo sie Adelhaid vermutet.“
„Anfangs nahm ich ihr die Arbeit ab und pfiff Adelhaid zurück.“
„Und dann?“
„Dann hab ich’s gelassen.“
„Ja und was passierte dann.“
„Adelhaid kam ohne Ruf.“
„Wie?“
„Ja, Shila muss sie gerufen haben. Irgendwie, unhörbar für uns Menschen. Shila zog sie quasi zu sich wie ein Magnet das Metall.“
„Du hast ’n Sockenschuss.“
„Und doch war es so. Anfangs rannte Adelhaid in ihrer jugendlichen Unvernunft auf uns zu.“
„Was ist daran unvernünftig?“
„Shila fand das so.“
„Wie bitte?“
„Ja, Shila stand ja ein paar Meter vor mir. Und Adelhaid lief an ihr vorbei als ob sie Luft wäre.“
„Adelhaid kommt zu dir, ist doch prima.“
„Shila fand das nicht prima, und so kam sie daher gar nicht zu mir.“
„Wohin sollte sie sonst rennen, an dir vorbei?“
„Sie kam nicht mal an Shila vorbei.“
„Was?“
„Sie hat sie getadelt. Blitzschnell stieß sie Adelhaid in die Flanke.“
„Was erzählst du da?“
„Das tat Shila ohne sie zu verletzen. Wie ein Türsteher, der meint ‚Du kommst hier nicht rein‘.“
„Die arme Adelhaid.“
„Eigentlich meinte Shila damit eher, ‚Du rennst hier nicht einfach so an mir vorbei‘.“
„Und du hast das zugelassen?“
„Klar doch, ich vertraue Shila. Sie weiß wohl mehr über ihre Art als ich.“
„Aber das geht doch nicht!“
„Und doch hat Adelhaid schnell daraus gelernt; sie verlangsamte ihr Tempo und kam fast unterwürfig auf Shila zu.“
„Jetzt tut sie mir wirklich leid.“
„Oh, gar nicht. Sie hat sich selbst korrigiert und Shila musste es nicht mehr tun.“
„Und dann?“
„Ich rief Shila zu mir. Adelhaid hingegen nicht.“
„Ja und weiter?“
„Irgendwann kam sie dann an meine Seite und legte sich hinter mich.“
„Ich glaub du hast zu tief ins Glas geschaut.“
„Ja, du hast Recht. Zuerst setzte sie sich hinter mich, danach legte sie sich irgendwann nieder.“
„Spinner.“
„Kein ‚Arschloch‘ mehr?“
„Das wird sich zeigen.“
Schweigend stand ich auf, ging zum Fenster gen Süden und blickte in die Stille der besinnlichen Nacht.
„Was denkst du?“
„Die Straßenlaternen kotzen mich an, wie der Gänsebraten Adelhaid.“
„Das ist nicht alles.“
„Du hast Recht. Bring mir Selmas Leine.“

[Damit könnte die Geschichte zu Ende sein, und doch habe ich den Titel noch aufzuklären. Vielleicht fängt die Erzählung auch jetzt erst an. Das liegt im Auge des Lesers.]

Der 24. Dezember 2007, 22:30 Uhr – Selmas 1. Spaziergang in Freiheit:

klein-selma7-ohneIch weiß nicht wie, aber irgendwie war ich plötzlich auf der Wiese – mit Selma. Ihre Leine brauchte ich nicht. Ich hatte noch nie Welpen angeleint. Warum auch, dachte ich mir. Bislang rannte mir noch keiner davon, und wenn dann kam er wieder, auch am Heiligen Abend. Und doch, könnte man behaupten, dass ich mich irren sollte. Ich wollte nur kurz hoch zu (m)einer Bank, ne Kippe rauchen und schnell wieder heim. Selma war für mich weiterhin Luft. Offensichtlich merkte sie das. Ich war mental nicht beim Hund – und das musste ich auch nie sein. Shila, die ich damals schon 6 Jahre ausführte, wich nie von meiner Seite. Mit Adelhaid hatte ich bis dato zu wenig Erfahrung alleine (ohne Shila), aber doch den Eindruck, dass auch sie mir auf dem Fuß folgte, meist allerdings nicht an meiner Seite, sondern stets hinter mir. Selma war da ein anderer Typus. Sie rannte vor, kreuz und quer, ohne Sinn und Verstand. Offensichtlich führte sie meine LAG bisweilen nur an der Leine, es musste ihre erste Narrenfreiheit gewesen sein. Sie genoss den ersten Matschschnee in vollen Zügen. Grenzenlos. Wege waren nicht da um beschritten zu werden, sondern um sie zu verlassen. Jedes Gebüsch war ihr lieb und recht. Aus der einen Kippe wurden zwei, dann drei. Ich dachte mir, las den Hund toben. Doch vom Hund war keine Spur. Mein Verantwortungsgefühl seinerzeit war immer noch eines, dass mit dem Wort ‚Arschloch‘ was gemein hatte. Da saß ich also, rauchend, denkend an irgendetwas anderes, die Augen geschlossen.

Die Bank war an einer Gabelung mit verdeckter Sicht zur städtischen Burg, hinter ihr ein Gebüsch, vor ihr eine Gebüsch. Nach hinten links ging es zur Siedlung, nach rechts und schräg links einen Weg hinunter. Trübe Aussichten auch bei Tageslicht. Im Dunkel der Nacht war das Gebüsch vor mir sogar noch uninteressanter. Für den Hund wohl nicht. Ich ging davon aus, dass Selma dort war, sicher war ich mir nicht. Und es war mir auch gleich. Ich ging davon aus, wenn ich pfiff, würde sie schon kommen und ich konnte endlich wieder ins Warme. Ich pfiff jedoch nicht, war in meinen Gedanken versunken. Und doch dachte ich darüber nach, wann ich zuletzt Shila zurückpfiff. Beim Orkan Kyrill vielleicht…

klein-selma7Plötzlich fühlte ich warmen Atem ganz in der Nähe von mir. Hatten sich meine stürmischen Gedanken in einem Vakuum vor mir manifestiert? Ich öffnete die Augen. Überraschung, es war dunkel. Und doch war zu meiner rechten eine Wesenheit. Mit Kippe im Maul drehte sich mein Kopf wie ferngesteuert zu jener Seite. Eine Gestalt mit blonder Mähne, direkt auf meiner Höhe. Ich brauchte eine gefühlte Ewigkeit um dieses Etwas zu erkennen. Namen sind für mich wie Schall und Rauch – ich kann sie hören, sehen, riechen, schmecken, aber weniger fühlen. Menschen geben ihnen die Gestalt, doch ich kann damit nichts anfangen. Die meisten Namen, die Tiere und Menschen tragen, sind für mich schlichtweg falsch, nicht passend. Es gibt da natürlich Ausnahmen. Und so hörte ich mich selbst Töne in die Welt hinauszurufen, an wen auch immer gerichtet: „Amigo!“ Und weiter: „Was machst du denn hier?“

Als ob er mir darauf eine Antwort geben würde…

Und als ich mich noch fragte, woher der werte Golden Retriever kam, den ich schon so oft nach Hause brachte, hörte ich etwas aus der Ferne. Ein Belllaut. Das Geräusch näherte sich. Es war eigentlich kein Bellen, es war so etwas wie Heulen und Bellen gleichzeitig. Gespinste trieben ihren Unfug in meinem Hirn. Ein Wolf? Eine Ricke, ihr Kitz rufend? Vielleicht gar ein Bock? Das Bellen wurde lauter, der Unsinn in meinen Kopf immer wertloser. Ein wilder Hund, vom Geräusch her ein Riese? Gutmöglich mit mehr Kilo auf den Hüften also ich selbst. Vielleicht waren es glatt zwei. Einer heulte, einer bellte. Die Pyrenäenberghund-Zwillinge! Genau, die mussten es sein. Die Vorstellung von zwei wild auf mich zu rennende Herdeschutzhunden war nicht die Angenehmste. Weitaus schlimmer für mich war aber die Tatsache, dass mich eigentlich noch nie ein Hund anbellte. Die Inbrunst, mit der er oder sie, eine Leidenschaften aufzeigte/n, um meiner die Ausmaße der Missgunst entgegenzuschleudern… Diese Vorstellung brachte mich ein wenig aus der Ruhe, auch der werte Amigo fand die Geräusche seltsam, aber nicht wie ich in einem Maße beunruhigend. Dachte er, ich würde ihn vor diesen Bestien beschützen? Bei der Zahl drei wäre ich auf dem Wallnussbaum gewesen. So Herdenschutzkühe stupsen mich auch im Dunkel der Nacht zielgenau in den langweiligen Busch.

klein-selma6-ohneGut, ein Hund kennt nicht Weihnachten, das ist ein Tag wie jeder andere. Die Menschen verhalten sich zwar ein wenig – ja – komisch, mitunter aufgesetzt fröhlich und heiter, aber sei es drum, denkt sich der Menschenhund. Am Ende des Abends ist der Napf trotzdem genauso voll wie eh und je, vielleicht sogar voller und besser bestückt als sonst, warum auch immer. Warum auch fragen! Retriever hinterfragen zumindest deutlich weniger, als andere Hunde, so war zumindest schon damals meine Anschauung. Amigo war zwar ein wenig anders, aber trotzdem noch ein Retriever. Er war sehr eigenständig, in allem. Seine Freiheit war im lieb und recht und er genoss sie in vollen Zügen. Vor allem wenn Hündinnen läufig waren, war er stets an Ort und Stelle. Shila kannte diesen hündischen Casanova schon lange. Gelegentlich vertrat sie seine Anschauungen, hätte gerne mit ihm mal kopuliert, zumindest in ihren Stehtagen. Dieses unbescholtene Blatt war ihr ergo sehr bekannt. Daraus ergab sich für mich, dass mir sein Herrchen bekannt wurde. Ich wiederhole mich ungern, aber ich brachte ihn in der Vergangenheit – und auch nach dieser Begebenheit – oft nach Hause. Bei 3 intakten Hündinnen, war das später kein Zufallstreffer. Manchmal tat ich es aber nicht. Da war er für mich zu schnell. Er blieb seiner Spur treu, der gute Schlawiner. Shila war an solchen Tagen nicht interessant genug für ihn. So zog er einfach weiter. Anfangs versuchte ich ihn noch einzufangen, aber auch das ließ ich irgendwann sein. Ab und an begegnete mir sein Herrchen auf der Suche, dann gab ich ihm den entscheidenden Hinweis. Nur einmal musste er eine Nacht im Tierheim verbringen. Irgendein überfürsorglicher Neubürger meinte, das wäre die treffende Wahl. ‚So ein Spießer‘ dachte ich mir da nur.

Amigo war also eine voll coole Socke. Und wenn er cool war, sollte er es auch jetzt sein. Folglich war wohl keine Gefahr im Verzug. Da bellte einfach nur ein Hund mit Heulsirene, der auf uns beide mehr oder weniger zustürmte. Der Amigo würde schon wissen, was zu tun ist, dachte ich mir. Der ist so abgebrüht, der weiß, wie man mit Nebenbullern umgeht, auch mit Pyrenäenberghunden, egal ob es jetzt Chien de Montagne des Pyrénées oder Patou waren. Ich kam ihren Menschen nie so nah, um zu fragen.

klein-selma5Also gut, ein Hund, ein anderer Rüde, vielleicht zwei, vielleicht die. Schön wenn man mit logischem Denken zu klaren Verhältnissen kommt. Ja, was hätte es sonst sein können? Ein Hund, gut. Eine Hündin, nee. Keine Hündin bellt so. Kann man das überhaupt am Geschlecht festmachen? Irgendwie war das ein Fehldenken, oder doch nicht? Gibt es einen sonoren Unterschied zwischen den ausstoßenden Lauten bei canis lupus familiaris? Bellen nicht alle Hunde gleich? Oder bilden wir uns Menschen das in unserer Menschlichkeit nur ein. Ein tiefer Beller – muss ein Rüde sein. Hoch brüllt nur eine Hündin. Völliger Quatsch, wenn man mal überlegt, nicht wahr?

Aber in so einer Situation bleibt nicht viel Zeit für geschlechtsdifferenzierende Abhandlungen. Man stelle sich noch mal meine Ausgangslage vor. Ich bin völlig entspannt, selbst dann noch als der werte Goldie neben mir steht. Plötzlich hört man ein Urgeräusch sonderbarer Art, dass man nicht alltäglich zu Ohren bekommt. Jene ausströmenden Töne nähern sich dann auch noch mit einer Geschwindigkeit, die einem normal-sterblichen Individuum schon ein wenig aus dem Konzept bringen könnten.

Sei es wie es sei – oder wie es gewesen ist. Ich möchte den Spannungslevel nicht unnötig in die Länge ziehen. Ich bin kein Dramatiker. Das soll hier auch kein Intro für ein Meisterwerk werden. Dazu fehlt es mir alleine schon an der stilistischen Klasse, grammatische und rechtschreibliche Schwächen sind da nur noch loses Beiwerk. So schreibe ich nur nieder, was mir im Dezember 2007 so alles passiert ist; und im Moment, was mir am Weihnachtsabend des Jahres 2007 um 22:30 Uhr widerfuhr. Rein aus meiner Erinnerung; und eben diese – zum Glück – täuschte mich weder seinerzeit, noch heute. Sie ist so klar – ich wiederhole mich ungern (…) – wie, als ob es gerade eben passierte. Ergo fiel es mir schwer konkret zu bleiben. Bis zum Ende des ersten Abschnitts gelang es mir. Jetzt galoppieren die Bilder vor meinen Augen. Ich schreibe mitunter blind und in einem Guss.

klein-selma4Während meine Gedanken noch durch meine Gehirnwendungen sausten – und es just wieder tun -, stand vor uns, also mir und dem Blondschopf, die Wesenheit, die für diese nächtliche Unruhe sorgte. Ein schwarzes Etwas mit weißem Loh. Kleiner als ich, kleiner als Amigo, größter aber als die Bank, auf der ich immer noch saß. Schlagartig änderte sich mein Gefühlsleben, so unfreiwillig es auch über mich kam. Verkürzt ende ich jetzt diese (doch) lange Erzählung mit dem folgenden Wort Namen: „Selma!“

Und doch bin ich noch nicht am Ende. Was danach passierte, öffnete mir nicht nur die Augen, sondern auch die Einstellung. Das ‚Arschloch‘ verzog sich von der einen auf die andere Sekunde. Meine innere Läuterung wurde in Gang getrieben, eine neue Erkenntnis geboren, die wegweisend werden sollte.

Dieses kleine etwas von Hund baute sich vor dem lieben Amigo auf, die Vorderläufe stramm, der Kopf in die Höhe, die Hinterbeine gewinkelt zum Angriff, bellend aus Leibeskräften. Amigo hingegen, die coole Socke, war völlig unbeeindruckt. Er legte den Kopf schief, sah an ihr vorbei, trat einen Schritt in ihre Richtung. Das Resultat seines Tuns: die kleine Selma rannte quietschend davon.

klein-selma2Ab diesen Zeitpunkt wusste ich nur eines: dies wird der schwerste Hund werden, denn ich jemals an meiner Seite haben werde. Noch gedankenverhangen überdachte ich gleichsam an meine eben gedachten Worte, lauschte ihnen, ließ sie tief in mein Innerstes. Dieses Geschöpf Gottes (unter Vorbehalt) sollte an DEINER Seite sein?? Das klang nach einer Lebensaufgabe. Wollte ich…? Sollte ich…? Konnte ich…? Waren diese Bedenken womöglich (m)einer Intuition zu verdanken, die mir ursprünglich Abneigung gegen ein unschuldiges Hündlein ins Gewissen trieb? Ist es nicht so, dass man sich Dingen stellen muss, um aus ihnen zu lernen? Rennt man von ihnen weg, wie Selma von Amigo, was wird dann aus solchen Dingen? Werden sie sich einfach in Luft auslösen oder werden sie einem immerwährend wieder begegnen, bis man sich ihnen stellt?

PS: Nur ein paar Monate später war Selma per ‚Du‘ mit Amigo (und mir). Den Rest übernahm Shila und eventuell meine stoische Ruhe, 5 weitere Jahre. Shila verstarb dann, aber Selma lebte weiter mit und bei mir. Sie stellte sich ihren weiteren Aufgaben selbst, ich war stolz auf sie und bin es heute noch. Adelhaid findet das OK.

Vielleicht bin ich jetzt nur noch ‚a klaans fränggisches Oaschloch‘ auf Bewährung.

(Alle Rechte am Text und an den Fotos bei Alexander Glas)

Vielen lieben Dank an Alexander Glas für diesen sehr interessanten Artikel.

Morgen schubbst Rosa Hackl vom Hundemagazin WuffDOGnews für uns das achte Türle unseres kleinen literarischen Adventskalenders auf. …