Gut zu Vögeln

In einigen Tagen ist es wieder so weit: Ab dem 01. April gilt in Niedersachsen – bis zum 15. July – die Brut- und Setzzeit außerhalb geschlossener Ortschaften. In den Sozial-Medias überschlagen sich mal wieder die Diskussionen und einige stellen mal wieder Petitionen ins Netz, die die Abschaffung dieser Schutzregelungen fordern. Die einen fordern freie Fahrt für Tutnix und Willnurspielen, die anderen können vor so viel Zynismus nur noch den Kopf schütteln.

Luna im Moos


Im Wald ist es schön! Er ist bis zur Oberkante voll mit guter Luft und man trifft selten andere Menschen und Hunde, außer man ist verabredet oder läuft dem Jäger oder Förster über den Weg. Im Wald riecht es immer herrlich nach Natur, feuchtem Moos, altem Laub und Verwesung – wobei das letzte nur die Hunde toll finden. Die Seele kann baumeln, die Nase kann sich vom Stadtmief erholen und die Ohren haben Feierabend. Die Hunde schieben ihre Nasen über die Wege, schnüffeln hier und schnüffeln dort, rennen im Zickzack durch die Gegend und sind einfach nur selig. Nach einigen Stunden über matschige Wege und Trampelpfade sind wir zufrieden, müde und beschwingt zugleich. Wir freuen uns auf unser gemütliches zu Hause, ein feines Essen sowie die weiche Couch – und stellen mal wieder fest: Zu jedem gelungenen Tag gehört ein Spaziergang durch den Wald.

Der Wald gehört aber nicht uns und wir sind dort jedes mal nur zu Besuch.

Der Wald gehört denen, die da leben! In unserem Fall sind das Rehe, Füchse, Kaninchen und richtig viele Vögel. Vor allem solche Vögel, die auf dem Boden brüten. Reichlich Insekten, wie Käfer und Mücken, und Ameisen sind auch noch da, aber die interessieren uns nicht so sehr. Da finden Luna und der Milow doch eher die vielen Mäuse toll, vor allem aber die unzähligen Löcher und Gänge, die man so klasse verbreitern und weiter bearbeiten kann. Es gibt unheimlich viel mit der Nase zu gucken, für die Hunde mehr als für mich, und manchmal wünschte sich der Milow, er könne auf Bäume klettern. Die Waldbewohner finden das nicht immer toll und viele sterben schon tausend Tode, wenn wir auch nur in ihre Nähe kommen.

Rehe und viele andere Wildtiere, die in unserem Wald leben sind Fluchttiere.

Das sind sie nicht nur zur Brut- und Setzzeit, sondern immer. Von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod – und egal, ob sie jung oder alt sind! Fluchttiere leiden bei ihrer Flucht, stehen Todesängste durch und verausgaben sich dabei bis zur völligen Erschöpfung. Das Reh, das von einem freilaufenden Hund gehetzt wird, ist alles andere als glücklich über diese Situation. Und die Geschichte geht auch nicht ohne Schaden für das Tier aus, weil es dem Hund wegen seiner Schnelligkeit entkommen kann. Gestresste Wildtiere neigen zur sogenannten Capture Myopathy. Dabei werden durch Überhitzung, Überanstrengung und manchmal auch Muskelabriss vor allem die Muskeln der Hintergliedmaßen geschädigt. Oft folgt nach Stunden durch Herzversagen und Kreislaufkollaps der qualvolle Tod. In der Zeit bis dahin erleiden die Tiere unerträgliche Schmerzen, weil die Muskeln langsam absterben. Menschen, die in der Zoowelt leben und arbeiten kennen dieses Reaktion der Tiere nur allzu gut. Es kommt immer wieder vor, dass alleine das Umsiedeln in ein anderes Gehege eine solche Capture Myopathy auslöst.

Als Hundehalter kommt man oft gar nicht dahinter und hält das alleinige Hetzen ohne Jagderfolg eher für ein Spiel. Sie unterschätzen die Gefahren, die von ihren Hunden ausgehen, und unterschreiben sogar Petitionen, die eine Abschaffung der gesetzlichen Brut- und Setzzeit fordern – momentan geistern wieder etliche durch die Sozial-Medias Die Begründungen der Unterzeichner in den Kommentaren sind auch hier (wir so oft) die Würze des Ganzen. Einige sind sogar der Ansicht, ihre Hunde ohne diese Hetzjagden auf Wildtiere nicht artgerecht auslasten zu können. Oder es werden Gedanken aus dem Tierschutz und der Tierethik angeführt, wonach zur artgerechten Haltung von Hunden nun einmal der Freilauf in Wald und Flur gehöre. Was für ein Zynismus! Für viele Menschen scheint die ganze Welt nur noch aus ihnen selbst und ihren Hunde zu bestehen, alles andere hat sich dem Zweck der artgerechten Hundebeschäftigung unterzuordnen – vor allem die schützenswerten Bewohner des Waldes.

Wie oft höre ich, der Jäger würde die Tiere später sowieso abschießen.

Sicher macht er das zum Teil, doch das ist ein ganz anderes Thema. Die Regelungen zur Brut- und Setzzeit gehen auf Gedanken zum Naturschutz zurück und sind bei weitem kein Jägerschutz-Gesetz. Im Vordergrund stand bei den Machern dieser Gesetze noch nicht einmal der Schutz von Rehen, Kaninchen oder anderen felltragenden Wildtieren. Es ging in erster Linie um den Schutz brütender Vögel – vor allem der bodenbrütenden Vögel. Diese fliegen in der Regel sehr früh auf, um den möglichen Fressfeind nicht auf das leicht erreichbare Gelege aufmerksam zu machen. In der Ferne warten sie dann sehr lange ab, bis wieder alles sicher zu sein scheint. Oft dauert das Stunden und die Eier in den Gelegen sind dann meistens tot. Die haben eine sehr geringe Unterkühlungs-Toleranz, manchmal nur um ein oder zwei Grad Celsius. Aber auch nach oben hin ist die Temperatur für die Eier tödlich. Das Brüten dient nämlich, vor allem im Sommer, durch den Sonnenschutz des brütenden Vogels der Kühlung der Eier. Ein einfacher Spaziergang durch das Unterholz, mit oder ohne Hund, kann für viele Tiere tödliche Folgen haben. Nur weil wir das nicht mitbekommen, heißt nicht, dass es nicht auch so geschieht!

In der Brut- und Setzzeit gehören Hunde im Wald an die Leine.

Auch angeleinte Hunde sollten auf den Wegen bleiben und gehören nicht in das Unterholz. Auch außerhalb dieser Zeiten sollten nur Hunde mit einem guten Appell (Rückruf) an der Seite von aufmerksamen Hundehaltern im Wald frei herumlaufen. Mit Klein Luna bekomme ich das seit eh und je hin, ab auch der Milow muss im Wald an die Leine . Meistens wie schon geschrieben an die 15-Meter-Schleppe, die immer lose hinter ihn her schlurft und für mich eine sichere Möglichkeit ist, ihn in Notfall bremsen zu können. Unsere liebe Kollegin Katharina von der Leyen hat mit Inga Böhm-Reithmeier gemeinsam ein Buch herausgebracht, das wir Euch sehr gerne ans Herz legen möchten: Leinen Los! – Freilauftraining für den Hund. Die beiden beschreiben anschaulich viele Möglichkeiten, mit dem Hund erfolgreich einen kontrollierten und dennoch gelassenen Freilauf zu trainieren. In vielen anschaulich bebilderten Beispielen schildern die beiden wie man es hinkriegen kann, dass die Hunde auch im Wald auf den Wegen bleiben.

Also noch einmal:

Der Wald gehört nicht den Menschen, er gehört den Tieren, die dort leben. Wir sind mit unserem Hunden dort nur zu Besuch. Wir sollten uns darüber freuen, dass es auch in unserem übersiedelten Land noch solche Naturlandschaften gibt. Wir sollten uns entsprechend verhalten und nicht mit unserem überdimensionierten SUVs auch noch die letzten Grünflächen zerstören. Wir fühlen uns an der Seite unserer Hunde doch so wunderbar naturverbunden – warum verhalten wir uns nicht auch so? Nein, wir zertrampeln lieber gemeinsam auch noch die letzten Reste natürlichen Lebensraumes in unsrer Welt. Der Hund gehört ja nicht mehr dazu. Er ist zu einem Familienmitglied aufgestiegen, halb Tier halb Mensch, was interessiert da noch der Rest. Eine Meute von freilaufenden Hunden kann für die Tiere im Wald einen kleinen Holocaust auslösen.

Die einen fordern freie Fahrt für Tutnix und WillnurSpielen, die anderen können vor so viel Zynismus nur noch den Kopf schütteln – Schade eigentlich!

(Der Text ist eine gekürzte Version von ‚Im Wald und gut zu Vögeln‘ aus unseren neuen Buch „Seelenhunde“)


Seelenhunde: Geschichten und Gedanken über die Liebe zu unseren Hunden

Severine Martens
TwentySix, 15. März 2016
ISBN 978-3-95544-005-3
19,90 Euro
© Severine Martens und TwentySix