Ist heute der richtige Tag zum Sterben? … von Sabine Ilk
„Achtzehn Jahre lang hatte ich ohne Unterbrechung immer Hunde an meiner Seite. Jetzt nach deinem Tod bin ich alleine und habe mein Leben noch nie so trostlos empfunden. Dein Körbchen habe ich nach einigen Tagen geschafft wegzuräumen, aber deine Leine hängt noch immer an der Garderobe. Es fällt mir schwer eine Alltagsroutine ohne dich zu entwickeln. Nachts höre ich immer noch dein Atmen, obwohl du so lange schon nicht mehr bei mir bist. Noch immer muss ich weinen, wenn Leute mich nach dir fragen. Aber ich schäme mich nicht für meine Tränen. Ich habe nicht nur meinen Hund verloren, sondern meinen besten Freund und wichtigen Teil meines Lebens.“
Im sechsten Artikel unserer Reihe Abschied für länger: Das Leben, die Liebe und der Tod schreibt Sabine Ilk für uns wieder eine ihrer wunderbaren Geschichten. Sabine betreibt das Hundeblog “its about DOGS and Chiru“ mit vielen Informationen für Hundenarren – u.a. zu Erziehung&Verhalten, Hundefotografie, Rassebeschreibungen, Tierschutz und noch vielem mehr. … Freut Euch mit uns auf einen bewegenden und liebenswerten Artikel!
Heute Morgen beim Aufwachen wusste ich, das ist der richtige Tag dich gehen zu lassen.
Draußen scheint schon die Sonne. Es ist Samstag und der Wetterbericht hat einen herrlichen Sommertag mit hohen Temperaturen vorhergesagt. Früher hätte ich mich sehr darüber gefreut, weil ich warme Temperaturen eigentlich liebe. Heute bereitet mir die Ankündigung „25 Grad und mehr“ Magenschmerzen, weil ich weiß, dass deine Herzprobleme dann noch schlimmer werden als sonst. Du liegst wie immer am Fußende von meinem Bett und schläfst noch. Die letzte Nacht war wieder sehr schlimm und du hast kaum Luft bekommen. Hätten wir jetzt Februar und nicht Mitte Juni hätten wir vielleicht noch eine Chance auf ein paar gemeinsame Wochen. Es wäre kühler und die Hitze würde dir nicht so zu schaffen machen. Die letzten Tage waren schlimm für uns beide. Nachts sind wir gemeinsam um den Block gelaufen, weil du in der warmen Wohnung keine Luft mehr bekommen hattest. Ich werde nie den schlimmen Augenblick vergessen, als du das erste Mal einfach auf der Straße umgekippt bist und ich dachte du wärst tot. Dein Blick, mit dem du mich anschautest, als ich dich in den Arm hielt und du wieder wach wurdest. Wir hatten es noch einmal geschafft und der liebe Gott hatte uns doch noch ein wenig Zeit miteinander geschenkt. Fast sieben Monate durften wir noch gemeinsam erleben. Wir hatten Glück und hatten einen Tierarzt gefunden, der deine Herzprobleme nicht einfach mit einem „da kann man bei so einem alten Hund nicht mehr viel machen…“ hinnahm. Es war eine sehr intensive Zeit, in der wir beide uns sehr nahe waren. Wenn man nicht weiß ob man den nächsten Tag noch gemeinsam erleben darf, lebt man das Hier und Jetzt viel bewusster. Trotzdem war auch die Angst mein ständiger Begleiter. Am liebsten hätte ich dich keine Minute mehr alleine gelassen, weil ich immer Angst hatte, du könntest alleine sein, wenn der Tod vor der Tür steht.
Oft dachte ich „das tust du dir nie wieder an…“ So eine schlimme Zeit möchtest du nicht noch einmal erleben müssen. Aber dann hätte ich auch nicht die neun wunderschönen Jahre mit dir erleben dürfen. Das ist der Preis für die Liebe zu dir, Nicky. Es kommt mir vor wie gestern, als ich dich zum ersten Mal im Tierheim sah. Du warst damals geschätzte sechs Jahre alt und niemand wusste wie dein bisheriges Leben ausgesehen hatte. Deine Menschen haben dich einfach „entsorgt“ und am Baum angebunden. Niemand durfte dich im Tierheim anfassen und du kamst nie an das Gitter, wie die anderen Hunde. Trotzdem schenktest du mir dann doch schnell deine ganze Liebe und vertrautest mir. Jetzt habe ich die Verantwortung zu bestimmen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, dich gehen zu lassen.
Mit Tränen in den Augen blicke ich aus dem Fenster.
Draußen höre ich die Nachbarn mit ihren Kindern lachen und das Wochenende planen. Für uns wird es kein gemeinsames Wochenende mehr geben, denn ich fühle es wird Zeit, dich gehen zu lassen. Noch wehre ich mich gegen die Entscheidung und hoffe, dass auf unserem Spaziergang gleich doch noch ein kleines Wunder geschieht und du eine kleine Runde schaffst. Nach wenigen Metern bleibt dir jedoch, wie so oft, die Luft beim Laufen weg. Du möchtest trotzdem weitergehen. Das ist typisch für dich. Trotz deines schlechten Gesundheitszustandes liebst du das Leben. Das macht den Abschied für mich umso schlimmer, da ich weiß, dass du so gerne noch leben möchtest, aber dein Herz einfach nicht mehr mitmacht. Auf dem Rückweg weiß ich tief in meinem Inneren, dass ich jetzt die Tierklinik anrufen muss, dass wir kommen.
In der sonst so hektischen Tierklinik ist es ganz ruhig und wir sind die einzigen „Patienten“. Die Ärztin wartet schon auf uns und führt uns in ein Sprechzimmer. „Lassen Sie sich Zeit und nehmen in Ruhe Abschied…“ sagt sie zu mir und verlässt den Raum. Weinend sitze ich mit dir auf dem Boden und streichele dich hinter deinen Ohren, wie du es so magst. Wie sollte ich ohne dich nur weiterleben? Kann man sich auf den Tod eines geliebten Freundes vorbereiten? Nein! Natürlich wusste ich die letzten Monate, dass der Augenblick bald da sein würde, dich gehen lassen zu müssen. Auch bei Rocky und Benji musste ich das „Tal der Tränen“ durchwandern, aber das macht die Sache nicht leichter. Rocky war sein ganz Leben sehr krank und bei Benji wusste ich, dass es für ihn selber auch die Zeit gekommen war, Abschied zu nehmen. Aber du mein Schatz, würdest so gerne leben…
Stunden später sitze ich hier alleine auf dem Bett.
Du fehlst mir so sehr. Wie soll ich die kommenden Tage und Wochen nur überstehen. Ich würde gerne an eine Regenbogenbrücke glauben. Einen Ort, an dem es dir jetzt besser geht und du vergnügt mit Rocky und Benji um die Wette rennst… mache ich aber nicht. Natürlich kann mir die Erinnerung an dich und unsere vielen glücklichen Zeiten niemand mehr nehmen, aber sie sind mir im jetzt nur ein geringer Trost. „In unserem Herzen leben sie weiter…“, wie oft habe ich selber diesen Spruch in der Vergangenheit schon gesagt, wenn jemand seinen Hund verlor… Im Moment sind das für mich nur Worte und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als das du bei mir sein könntest.
Achtzehn Jahre lang hatte ich ohne Unterbrechung immer Hunde an meiner Seite. Jetzt nach deinem Tod bin ich alleine und habe mein Leben noch nie so trostlos empfunden. Dein Körbchen habe ich nach einigen Tagen geschafft wegzuräumen, aber deine Leine hängt noch immer an der Garderobe. Es fällt mir schwer eine Alltagsroutine ohne dich zu entwickeln. Nachts höre ich immer noch dein Atmen, obwohl du so lange schon nicht mehr bei mir bist. Noch immer muss ich weinen, wenn Leute mich nach dir fragen. Aber ich schäme mich nicht für meine Tränen. Ich habe nicht nur meinen Hund verloren, sondern meinen besten Freund und wichtigen Teil meines Lebens.
Gestern war ich bei einer Züchterin und habe mir einen kleinen Welpen angeschaut. Ein putziges Kerlchen, über den ich viel lachen musste. Aber der kleine Rüde hat mein Herz nicht berührt… Immer wenn ich den kleinen Hund ansah, sah ich dein Gesicht vor mir und wusste der Augenblick dafür ist noch nicht gekommen. Noch habe ich dich nicht losgelassen und der Schmerz ist noch zu groß.
Ein halbes Jahr ist jetzt seit deinem Tod vergangen Nicky.
Ich habe mich oft gefragt, ob ich noch einmal einen Hund so lieben kann wie dich. Möchte ich die Trauer noch einmal erleben ihn zu verlieren? Die Ängste durchleiden, wenn er krank ist? Mit der Liebe zu einem Hund ist so viel Schmerz verbunden. Ihr begleitet uns nur durch einen Abschnitt unseres Lebens und sterbt in der Regel vor uns. Aber ist das nicht ein fairer Tausch für die viele Liebe, die ihr uns schenkt? Mit jeder Träne, die ich für dich vergossen habe, wurde es ein wenig besser. Ich kann wieder über die schönen Erlebnisse mit dir Lächeln und denke ohne Schmerz im Herzen an dich. Auch wenn ich leider nicht daran glaube, dass du da irgendwo noch bist, denke ich mit viel Liebe an dich zurück. In meinem Herzen wirst du immer bei mir sein und mit den Erinnerungen weiterleben.
Heute fahre ich den kleinen Tibet Terrier Chiru besuchen. Der Gedanke, dass ein neuer Hund bei mir einzieht macht mir keine Angst mehr. Auch ihn werde ich irgendwann verlieren, aber davor auch viele glückliche Zeiten voller Liebe erleben dürfen. Ich freue mich darauf!
(Alle Rechte am Text und an den Fotos im Text liegen bei Sabine Ilk)

Foto © Claudia Schröer
Liebe Sabine,
nun bin ich durch Zufall auf diese wunderschöne aber auch schrecklich traurige Geschichte von Dir gestossen und hatte direkt wieder mein Böchen vor Augen…..der Text berührt mich wirklich sehr und in jedem Deiner Zeilen finde ich mich wieder mit meiner immer noch tiefen Trauer über Bois Tod .
Besonders dieser Absatz: „……..jetzt nach deinem Tod bin ich alleine und habe mein Leben noch nie so trostlos empfunden. Dein Körbchen habe ich nach einigen Tagen geschafft wegzuräumen, aber deine Leine hängt noch immer an der Garderobe. Es fällt mir schwer eine Alltagsroutine ohne dich zu entwickeln. Nachts höre ich immer noch dein Atmen, obwohl du so lange schon nicht mehr bei mir bist. Noch immer muss ich weinen, wenn Leute mich nach dir fragen. Aber ich schäme mich nicht für meine Tränen. Ich habe nicht nur meinen Hund verloren, sondern meinen besten Freund und wichtigen Teil meines Lebens.“
geht mir so nahe…ja…genau so …so tief ist der Schmerz. Auch heute noch (Boi ist am 5.12.2015 gestorben) hängt seine Leine und Halsband am Haken. Auch er liebte das Leben sooo sehr ….und er liebte mich so sehr….auch er konnte nicht loslassen….und ich bis heute nicht.“
DANKE Dir für diesen schönen Text ❤
Lieben Gruss Manuela & Jack
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Danke für deine lieben Worte. Zum Glück wusste ich beim Schreiben der Geschichte noch nicht, dass Chiru nur wenige Monate später auch nicht mehr bei mir sein wird. Genau wie du bei Bo rechnet man einfach nicht damit, dass die Zeit schon mit 10 Jahren, bei Bo waren es noch wenigere, abgelaufen ist. Immer wenn ich dachte, du schaffst es nicht mehr „das Tal der Trauer“ zu durchqueren habe ich mir die Geschichte vor Augen gehalten – manchmal hat es geholfen – manchmal nicht. „Man sagt die Zeit heilt alle Wunden, doch man gewöhnt sich nur an den Schmerz“ dieses Zitat trifft es für mich auf den Punkt. Natürlich kann uns unsere Erinnerung niemand nehmen – aber es tut verdammt weh mit dem Verlust zu leben.
Liebe Grüße Sali
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Sehr berührend und traurig. Uns steht diese Zeit (in hoffentlich weiter Ferne) noch bevor. Unser Ältester ist 11 Jahre alt und noch gesund und fit. Aber ich merke schon, dass er keine drei mehr ist, dass er länger schläft, früher müde wird … Man hört immer, „Du merkst, wenn der Moment da ist“ – aber werde ich das wirklich? Werde ich ihn zu früh gehen lassen, wenn er noch gar nicht bereit ist, oder werde ich zu lange hoffen und ihm mehr zumuten, als er zu tragen bereit ist? Es tut einfach gut zu lesen, dass man mit diesen Gedanken nicht allein ist und ich hoffe noch immer, dass ich merken werde, wenn „der Moment“ da ist …
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Danke Severine, für diese tolle Serie und das ich wieder mit dabei war. Die Mischung der Autoren*innen ist dir wieder super gelungen und jeder Beitrag ist etwas ganz besonderes. Als „Bloggerin“ weiß ich wieviel Arbeit für dich dahinter steckt – Hut ab für die tolle Präsentation und Organisation.
@ all: Danke für das viele „Teilen“ in Facebook – ich habe mich sehr darüber gefreut.
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Bei uns wohnt sie gerade jetzt, die Angst vor den heißen Sommertagen. Danke für diese Geschichte.
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Ich drücke euch ganz fest die Daumen für einen kühlen Sommer. Die Angst ist einfach schlimm…
Liebe Grüße
Sabine
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eine sehr berührende Geschichte, die ich voll nachempfinden kann ! Die Leere nach dem Abschied….
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Vielen Dank für deinen lieben Kommentar!
Liebe Grüße
Sabine
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habe gerade beim Lesen Rotz und Wasser geheult. So schön und berührend geschrieben. Aber das kann wirklich nur jemand nachempfinden der schon in einer ähnlichen Situation war und nachempfinden kann was es heisst zu sagen „Jetzt“.
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Danke für deinen lieben Kommentar Vera. Das „jetzt“ ist wirklich sehr schlimm und gerade bei Nicky fiel es mir sehr schwer loszulassen. Wann trifft man die Entscheidung, wenn ein Hund leben möchte?! Manchmal verabschieden Hunde sich ja von ganz alleine und haben für sich den Zeitpunkt beschlossen – bei ihm war es leider nicht so…
Liebe Grüße und ich hoffe uns bleibt diese Entscheidung noch lange erspart!
Sabine
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